Climate Changes everything – Das Klima ändert alles
Am Montag, dem 9. September 2024 meldet Copernicus, das EU-Erdbeobachtungsprogramm, den heißesten Sommer seit Beginn der Auf zeichnungen: Noch nie war es so heiß in Europa wie in den Sommermonaten Juni, Juli und August. Am Ende der gleichen Woche warnten die Wettervorhersagen vor Flutkatastrophen. Sturmtief Boris brachte intensiven Regenfälle und darauf folgenden Überschwemmungen. Polen, Tschechien, Österreich, Rumänien waren betroffen. Deutschland kam diesmal einigermaßen glimpflich davon, Mülheim ebenso.
Historisches Theaterstück über eine Klimakatastrophe in Mülheim
Klimakatastrophen sind auch in Mülheim alte, sogar sehr alte Bekannte. Das neue Stück »Climate changes everything« von Schriftsteller und Theaterproduzent Marco Hasenkopf und seinem wunderbaren Ensemble handelt von einer Klimakatastrophe in den 1780er Jahren, dem Ende der sogenannten »Kleinen Eiszeit«. Die isländischen Laki-Krater brachen 1783 aus und verursachten einen extrem harten, kalten und langen Winter auf der gesamten Nordhalbkugel. Der Rhein bei Köln fror über mehrere Monate bis auf den Grund zu. Bei der Frühjahrsschmelze 1784 wurde Mülheim von Wasser und Eis überflutet und zerstört. Mit seiner Geschichte hat Autor Marco Hasenkopf den Mülheimern das Thema Klimakrise im Spätsommer 2024 ganz nah gebracht.
Auf der theatralischen Wanderung durch den Mülheimer Hafen erzählt sein Stück dem Publikum, #1 2024 16 Amtmanns mit dem Rat findet im Theaterstück auf dem Gelände des THW Mülheim statt. Ergebnislos. Dem Rat sind andere Themen wichtiger, er verschiebt den Dammbau in den Sommer. Das Ensemble spielt den Rat mit Wolfsmasken. Und für die drohende Katastrophe hat das oberste Gremium der Stadt eine klitzekleine »Lösung«: Man will das Eis aus dem Rhein stückweise abtragen, um eine Überschwemmung zu verhindern. Spätestens jetzt fühlt man sich als Zuschauer:in erinnert an zeitgenössische Klimadebatten und Klimaleugner. Die Hilflosigkeit der Betroffenen und die scheinheilige Gegenmaßnahme sind durchschaubar und erinnern verdammt noch mal daran, dass auch wir uns vor den Herausforderungen des Klimawandels immer noch viel zu oft wegducken. Ob Beten hilft? Ja, meint der fragwürdige Jesuit (Sascha Görg) aus dem linksrheinischen Köln. Das Stück endet kurz vor wie Amtmann Freiherr Henrik Venray (Thomas Krutmann) und die Mülheimer Apothekerin Anna-Maria Scheidt (Aischa-Lina Löbbert) vergeblich versuchen, die Katastrophe durch einen Dammbau aufzuhalten. Die Mülheimer Werft ist eine riesige Bühne: Sie ist der eiskalte und lebensgefährliche Weg des Amtmanns, den der Bergische Fürst aus Düsseldorf geschickt hat, um den befohlenen Dammbau zu kontrollieren. Nur mit Ach und Krach und Erfrierungen an den Beinen kann er sein Leben bis nach Mülheim retten, denn ein Wolfsrudel beobachtet ihn genau. Die Wölfe rücken auch dem Publikum – wie der Amtmann zu Fuß unterwegs - auf den Pelz. Vier der Schauspieler:innen setzen immer wieder beeindruckende Wolfsmasken auf und mischen sich unters Volk, stehen leise und direkt hinter dir, als würdest Du als nächstes ihren heißen Atem spüren. Auch die Wölfe haben Hunger. Sie bedrohen das Leben um Mülheim.
Korruption und vertagte Entscheidungen
Die Apothekerin versorgt die Wunden des Amtmanns. Ja, es ist auch eine Romanze, aber, sie tritt hier kaum in den Vordergrund. Anna-Maria Scheidt kämpft um das Recht, die Apotheke ihres verstorbenen Mannes weiter zu führen. Der korrupte Rat lässt das nicht offiziell zu. Der Amtmann sichert ihr seine Unterstützung zu, doch diese gut gemeinte Geste findet sie fast genauso empörend wie die Bestechungsgelder, die sie nicht besitzt.
Und überhaupt der Mülheimer Rat. Natürlich hat er sich nicht mit dem Dammbau beschäftigt, da kann sich der Fürst im fernen Düsseldorf auf den Kopf stellen. Man hat anderes zu tun – schließlich gibt es nichts zu essen, nichts zu verdienen und überhaupt ist Karneval. Die Diskussion des dem Ansteigen der Flut und lässt alle Fragen offen – nicht ohne einen wunderbaren Blick von der Spitze der Landzunge (da, wo das THW wahrscheinlich seine Boote ins Wasser lässt) auf Mülheim im Mondschein freizugeben.
Theaterstück ist auch als Roman erschienen
Ein dickes Dankeschön gilt dem Team, das seinem Publikum ein besonderes Erlebnis an Originalschauplätzen ermöglicht hat. Dazu ein Kompliment für die technisch ausgefeilte Produktion (das meiste davon hatte der Kutscher im Bollerwagen dabei!) und die stimmigen Kostüme. Jetzt aber ran an die Klimakrise.
Aischa-Lina Löbbert (die Apothekerin) wird übrigens ab Dezember 2024 als neues Mitglied im Ensemble der Stunksitzung zu sehen sein. Der historische Roman »Eisflut 1784« von Marco Hasenkopf erschien 2021 im Emons-Verlag.